Muss ein GmbH Geschäftsführer persönlich dafür haften, wenn sein Arbeitnehmer keinen Mindestlohn erhält? Das BAG entschied:
Eine persönliche Haftung eines GmbH Geschäftsführers für den Schadensersatz eines nicht gezahlten Mindestlohns nicht. Das Bußgeldtatbestand des Mindestlohngesetztes (MiLoG) ist kein Schutzgesetz. Daher kann es dem Arbeitsnehmer gegenüber dem Geschäftsführer in Verbindung mit § 823 Abs.2 BGB nicht als Anspruchsgrundlage dienen.
Ein technischer Zeichner erhielt für 22 geleistete Arbeitstage im Juni 2017 keinen Lohn und nahm zwei Geschäftsführer einer zahlungsunfähig gewordenen GmbH hierfür persönlich auf Schadensersatz in Anspruch. Der infrage stehende Schadensersatzbetrag belief sich auf die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von ca. 1.600 EUR. Im November 2017 wurde durch das Amtsgericht Gera ein Insolvenzverfahren über das Unternehmensvermögen eröffnet. Das BAG schloss sich der Entscheidung des Arbeitsgerichts Gera und des Landesarbeitsgerichts Thüringen an: Die beiden Geschäftsführer haften dem ehemaligen Arbeitnehmer gegenüber nicht persönlich zum Schadensersatz. Ein besteht kein Anspruch aus § 823 Abs.2 BGB in Verbindung mit § 1 MiLoG.
Grundsätzlich haftet ein Geschäftsführer gegenüber Dritten, mitunter Gläubigern, nur in Ausnahmefällen. Ihre Haftung begrenzt sich im Allgemeinen auf ihr Verhältnis zur Gesellschaft, ausgehend vom Sorgfaltsmaßstab in § 43 GmbHG. Insbesondere macht § 43 Abs.2 GmbHG deutlich, dass die Gesellschaft selbst Schadensersatzansprüche wegen nicht ordnungsgemäßer Geschäftsführung gegen einen Geschäftsführer haben kann und nicht außenstehende Dritte.
Die Nichtzahlung des Mindestlohnes sei kein Ausnahmefall, der eine Haftung gegenüber Dritten begründe. Hierfür müsste das MiLoG ein Schutzgesetz sein, was nicht der Fall ist. Würde man ein Schutzgesetz annehmen, dann würde bereits ein leicht fahrlässiger Verstoß gegen das MiLoG einen Schadensersatzanspruch eines Arbeitsnehmers gegen den Geschäftsführer begründen. Auf diese Weise hätte ein Arbeitnehmer zusätzlich zur GmbH als Vertragsarbeitsgeber den Geschäftsführer als weiteren Schuldner. Dies würde zu einer Aushebelung des GmbH Haftungssystems führen, in der es gerade keine allgemeine Durchgriffshaftung auf die Geschäftsführer geben soll, so das BAG. Der Gesetzgeber sieht eine zivilrechtliche Haftung für die handelnden Organe einer GmbH grundsätzlich nicht vor.
Eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Datenschutzhinweise beinhaltet, die zur anlasslosen Weitergabe personenbezogener Daten an die Schufa oder eine andere Auskunftei berechtigen, ist laut dem Landgericht Frankfurt am Main unzulässig.
Die Geschäftsbedingungen des Stromanbieters Eprimo berechtigen sie zur Auskunft über die Bonität von Kunden, die an einem Stromvertrag interessiert sind. Im Gegenzug sind sie berechtigt Kundendaten von betrügerischem und die vertraglichen Pflichten verletzendem Verhalten an die Schufa und andere Auskunfteien weiterzugeben.
Die klagende Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) beanstandete jedoch, dass die Klausel so weit gefasst war, dass sie Eprimo ebenso dazu berechtigte der Schufa, aber auch anderen Auskunfteien, Kundendaten zur Durchführung und Beendigung der Geschäftsbeziehungen bei vertragsgemäßem Verhalten weiterzugeben.
Klausel verstößt gegen die DS-GVO
Das LG gab der vzbv recht: Die Klausel, die eine anlasslose Datenweitergabe regelt, ist unzulässig. Es ist nicht rechtmäßig, Daten weiterzugeben, die in keinem Zusammenhang mit einer Verletzung von vertraglichen Pflichten stehen oder für die Feststellung der Kundenbonität nicht erforderlich sind. Die DS-GVO schützt personenbezogene Daten. Dies soll gewährleistet werden, indem Datenweitergaben nicht anlasslos erfolgen dürfen, sondern nur aus anerkannten Rechtfertigungsgründen. Die unzulässige Klausel von Eprimo war so weit gefasst, dass quasi alle gesammelten Daten an die Schufa weitegeleitet werden durften, mitunter Angaben über den Stromverbrauch oder die Vertragslaufzeiten. Weitergegebene Daten dieser Art können den Schutz der Stromkunden aushebeln. Könnte ein Stromanbieter Einsicht darauf nehmen wie oft ein Kunde einen Anbieterwechsel vornehme, könnte dies dazu führen, dass er von einem Vertragsschluss absieht.
vzbv kann Datenverstöße geltend machen
Als Verband zur Gewährleistung von Verbraucherinteressen ist es dem vzbv gestattet auch Datenverstöße geltend zu machen. Verbraucherschutzziele gehen mit dem Schutz von personenbezogenen Daten von Verbraucherinnen und Verbrauchern einher, so die Klarstellung des LG.
Der Sommerurlaub ist gebucht und wird voller Erwartung auf gutes Wetter angetreten. Doch was ist, wenn am Urlaubsort stattdessen Nebel und Regen auf den Urlauber warten? Begründet eine unterlassene Info des Reiseveranstalters auf eine zur Reisezeit bestehende beispielsweise Regenzeit ein Recht des Urlaubers auf Minderung des Reisepreises? Das Landgericht Frankfurt verneinte dies.
Ein Paar hatte für einen Gesamtpreis von 18.000 Euro eine Pauschalreise nach Ecuador gebucht. Vor Ort hatten sie jedoch Starkregen und Nebel. Die Wetterverhältnisse verhinderten während einer zweitätigen Durchquerung des Amazonas Ausblicke auf die Tierwelt, die in der Reiseankündigung versprochen wurden. Der als „traumhaft schöne Kratersee“ beworbene See war ebenfalls durch den Nebel nicht als solcher wahrzunehmen. Nach Beendigung der Reise verlangte das Paar deshalb eine Minderung des Reisepreises von ca. 6.000 Euro.
Laut dem Landgericht Frankfurt ist es für einen Urlauber durch eine Internetrecherche sehr leicht herauszufinden, wie die Wetterbedingungen am Reiseziel zur geplanten Reisezeit sind. Daher besteht keine Informationspflicht durch den Reiseveranstalter. Ebenso sind die Wetterbedingungen kein Leistungsbestandteil der erfolgten Buchung, weshalb ein Anspruch auf Minderung des Reisepreises nicht darüber begründet werden kann, dass eine versprochene Leistung nicht erbracht wurde.
Nur Zahlungen für ausgefallene Ausflüge
Das Landgericht sprach dem Paar jedoch einen Betrag von 800 Euro für nicht stattgefundene Ausflüge zu. Dies beinhaltete die Minderung der Tagesreisepreise für den wetterbedingt nicht stattgefundenen Besuch einer Fledermaushöhle, für die unterbliebene Warmwasserversorgung in einem Hotel, für die Lärmbelästigung auf einem Katamaran und für einen unterbliebenen Tagesausflug. Im Unterschied zur verlangten generellen Reisepreisminderung aufgrund der Wetterverhältnisse handelte es sich bei den ausgefallenen Ausflügen um versprochene Leistungen, die im Reisepreis beinhaltet waren. Der Reiseveranstalter muss hierfür eine Reduzierung der angefallenen Zahlungen hinnehmen.
Ist es einem Betriebsratsvorsitzenden gestattet neben seinem Amt ebenso für den Datenschutz des Unternehmens beauftragt zu sein? Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Ausübung beider Ämter einen Interessenskonflikt hervorruft, weshalb sie nicht miteinander vereinbar sind.
Der Kläger wurde als Vorsitzender des Betriebsrats zum 01.06.2015 von seinem Arbeitgeber, dem Beklagten, zum Datenschutzbeauftragten bestellt. Nach Kenntniserlangung des Thüringer Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wurde der Beklagte dazu veranlasst das Amt des Klägers als Datenschutzbeauftragten zum 01.12.2017 zu widerrufen. Seine Funktion als Betriebsratsvorsitzender sei nicht mit dem Amt des Datenschutzbeauftragten kompatibel. Mit einem Schreiben vom 25.05.2018 wurde der Kläger gemäß Art.38 Abs.3 Satz 2 DS-GVO (Datenschutz-Grundverordnung) abberufen.
Vorinstanzen: Betriebsratsvorsitzender kann gleichzeitig auch Datenschutzbeauftragter sein
Der Kläger reichte Klage gegen die Abberufung als Datenschutzbeauftragter ein. Der Beklagte führte an, dass beide Ämter nicht miteinander kompatibel seien. Ein Interessenskonflikt sei zu erwarten, der einen wichtigen Grund für einen rechtmäßigen Widerruf des Amtes als Datenschutzbeauftragten des Klägers darstelle. Die Vorinstanzen stellten keinen wichtigen Grund für eine Abberufung fest. Der Kläger könne als Betriebsratsvorsitzender ebenso für den Datenschutz im Unternehmen beauftragt sein. Hiergegen legte der Arbeitgeber Revision ein.
Kläger legt Revision ein – BAG: Widerruf war rechtmäßig
Die Revision des Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg. Für einen rechtmäßigen Widerruf des Amtes als Datenschutzbeauftragten stellte das BAG den erforderlichen wichtigen Grund gemäß §4f Absatz 3 Satz 4 BDSG (Bundesdatenschutzgesetz) a.F. in Verbindung mit §626 Absatz 1 BGB fest. Der zum Datenschutz Beauftragte muss in seiner Funktion über die erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit verfügen. Mit einem parallelen Amt als Betriebsratsvorsitzenden im gleichen Unternehmen wird ein Amt besetzt, in der auch Zweck und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten festgelegt werden, weshalb ein Interessenskonflikt mit der Funktion als Datenschutzbeauftragten entsteht. Die dadurch nicht mehr gewährleistete Zuverlässigkeit des Datenschutzbeauftragten rechtfertigt dessen Abberufung. Laut dem BAG bestand dieser Interessenskonflikt auch vor der Novellierung des Datenschutzrechts, denn sie entsprach auch der vorherigen Rechtslage.
Interessenskollision verhindert die erforderliche Zuverlässigkeit
Der Betriebsrat ist nicht berechtigt jegliche personenbezogenen Daten im Unternehmen zu erheben, sondern nur dann wenn das Betriebsverfassungsgesetz den Zweck der Datenerhebung vorsieht. Durch Gremiumsbeschlüsse legt der Betriebsrat fest für welche Zwecke und Mittel er personenbezogene Daten vom Arbeitgeber zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben einfordern und verarbeiten darf. Ein Betriebsratsvorsitzender als Vertreter des Betriebsrates und damit auch dessen gefasster Beschlüsse steht zum Amt des Datenschutzbeauftragten im Interessenskonflikt. Die Begrenzung der Dateneinsicht/-verarbeitung als Betriebsratsmitglied wird durch ein paralleles Amt als Datenschutzbeauftragten aufgehoben. Die Zuverlässigkeit i.S.d. §4f Absatz 2 Satz 1 BDSG a.F. die der Datenschutzbeauftragte innehaben sollte ist auf diese Weise nicht mehr gewährleistet, so die Argumentation des BAG.
Ist es einem Vermieter gestattet, von seinem Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses fiktive, d.h. geschätzte Kosten für die Beseitigung von Schäden am Mietobjekt und für unterlassene Schönheitsreparaturen, als auch für Rückbauten erstattet zu erhalten?
Der VII. Senat lehnte im Bau– und Werkvertragsrecht die Erstattung von fiktiv berechneten Mängelbeseitigungskosten ab. Einer fiktiven Schadensberechnung läge kein Vermögensschaden zugrunde, die für eine Geltendmachung erforderlich sei. Ebenso bestehe bei einer Kompensation von geschätzten Kosten die Gefahr einer Überkompensation und damit einer ungerechtfertigten Bereicherung des Bestellers. Doch ist diese Rechtsprechung ebenso auf das Mietrecht anwendbar?
Der klagende Vermieter verlangte vom beklagten Mieter die Erstattung eines von ihm eingeholten Kostenvorschusses über 8.425 EUR für geplante Schönheitsreparaturen, als auch Schadensersatz in Höhe von 881 EUR. Die Beträge setzten sich wie folgt zusammen: Die Beklagte hatte die Wohnung nach Ende des Mietvertrages 2 Tage zu spät herausgegeben. Der Aufforderung Schönheitsreparaturen wie beispielsweise die Erneuerung der Wandfliesen in der Küche durchzuführen kam die Beklagte nicht nach, woraufhin der Kläger einen Kostenvoranschlag für einige Schönheitsreparaturen einholte. Einige Reparaturen führte er zum Teil selbst aus. Die Kosten verlangte er von der Mieterin zu erstatten.
AG und LG lehnen Ansprüche ab
Das AG Lüdenscheid, als auch das LG Hagen lehnten einen Anspruch des Klägers ab. Es gebe keinen Anspruch im Mietrecht aus dem der Kostenvorschussanspruch von 8.425 EUR geltend gemacht werden kann. Ebenso gebe es keinen Anspruch auf Geltendmachung des Schadensersatzes in Höhe von 881 EUR. Die Rechtsprechung aus dem Bau– und Werkvertragsrecht sei daher auf das Mietrecht übertragbar.
Laut BGH: Fiktive Berechnung ist möglich
Der VIII. Zivilsenat prüfte, ob ein Vermieter geschätzte und voraussichtlich anfallende Kosten erstattet verlangen darf. Das Urteil des LG wurde aufgehoben: Eine Fiktive Schadensberechnung ist im Mietrecht zulässig. Eine Gefahr der Überkompensation und damit einer ungerechtfertigten Bereicherung besteht im Mietrecht nicht, da dem Geschädigten nur die Erstattung der zur Erfüllung der Leistungspflicht erforderlichen Kosten gestattet ist. Ebenso gewährt der Grundsatz von Treu und Glauben eine Inhaltsbegrenzung, die eine Überkompensation verhindert.
Ein Headhunter ist eine Person oder ein Unternehmen, das im Auftrag von Unternehmen nach qualifizierten Fach– und Führungskräften für bestimmte Positionen sucht. Hierfür erhalten sie eine Provision für jede erfolgreiche Vermittlung von Arbeitnehmer an Arbeitgeber. Gezahlt wird diese normalerweise durch den Arbeitgeber – in der Aussicht, dass der Arbeitnehmer länger bleibt.
Nachdem ein Headhunter erfolgreich vermittelt hat, schlossen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Ende März 2021 einen Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage der klagende Arbeitnehmer ab dem 01.05.2021 bei der beklagten Arbeitgeberin tätig wurde. Für die Vermittlung erhielt der Headhunter rund 4.500 Euro. In dem Arbeitsvertrag hielt der Arbeitgeber fest, dass er einen Teil der gezahlten Vermittlerprovision vom Arbeitnehmer zurückverlangen könne, sofern das Arbeitsverhältnis nicht über den 30.06.2022 (d.h. nicht über 14 Monate) hinaus fortbestehen sollte. Bereits nach zwei Monate hatte der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag fristgerecht gekündigt. Anschließend behielt die Beklagte hinsichtlich der „geschuldeten“ Provisionserstattung einen Teilbetrag von 800 Euro vom Gehalt des Arbeitnehmers ein. Hiergegen klagte der Arbeitnehmer und forderte die Zahlung des einbehaltenen Vergütungsbetrags. Er behauptete, die Erstattungsregelung sei unwirksam, weil sie ihn unangemessen benachteiligte. Die Beklagte hingegen wand ein berechtigtes Interesse an der Provision ein.
Das Bundesarbeitsgericht stimmte der Ansicht des Arbeitnehmers zu (BAG, Urteil vom 20.06.2023 – 1 AZR 265/22). Nach Auffassung der Richter in Erfurt benachteilige die Provisionsregelung den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und sei daher nach §307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Der Kläger werde hierdurch in seinem von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz garantierten Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt, ohne dass dies durch begründetes Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Der Arbeitgeber habe grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür zu tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht „lohnen“, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beende. Es bestehe deshalb kein billigenswertes Interesse der Beklagten, solche Kosten auf den Kläger zu übertragen. Der Kläger erhalte auch keinen Vorteil, der die Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzwahl ausgleichen könnte.
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E-Scooter sind praktisch, schnell und – umstritten. Während sie insbesondere in der jüngeren Altersgruppe auf allgemeine Beliebtheit stoßen, stehen ihnen gerade ältere Menschen kritisch gegenüber. Gründe sind unter anderem, dass sie den öffentlichen Raum blockieren, dass manche Fahrerinnen und Fahrer verbotenerweise auf dem Gehweg unterwegs sind oder das sorglose Parken auf Gehwegen. Zumindest letzteres könnte sich in Zukunft ändern. Wird ein E-Scooter auf dem Gehweg so abgestellt, dass er andere Verkehrsteilnehmer behindert und gefährdet, liegt ein bußgeldbewährter Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot vor. Zwar wird vor Erlass des Bußgeldbescheids der Vermieter des Scooters zur Person des Fahrzeugführers angehört, kann er jedoch keine Angaben zur Person machen, erhält er den Halterkostenbescheid. Schließlich seien E-Scooter –Vermieter letztendlich auch Halter eines Kraftfahrzeugs. Es kann angenommen werden, dass zukünftig die Daten der Fahrer bei jeder Fahrt im System des Scooter-Vermieters hinterlegt werden, sodass im Falle eines Bußgeldbescheids der Fahrer ermittelt werden kann. Dies dürfte das sorglose Parken auf den Gehwegen eindämmen.
Amtsgericht Hamburg-Altona, Beschluss vom 23.01.2023 – 327b OWi 1/23
Nach dem Abitur haben viele Abiturientinnen und Abiturienten den Wunsch zu reisen. Manche wollen in einem Work and Travel Jahr in Neuseeland Schafe scheren, andere wiederum unterstützen soziale Projekte in Südamerika. Ob Neuseeland, Australien oder Peru – ohne Anschlussflug erreicht man diese Ziele nicht. In einem neu ergangenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 09.05.2023 (Aktenzeichen: X ZR 15/20) hat dieses die Fluggastrechte bei verspäteten Anschlussflügen gestärkt.
Eine Frau buchte über ein Reisebüro für den 25. Juli 2018 einen Flug mit der Fluggesellschaft Swiss von Stuttgart nach Zürich und Flüge mit der Beklagten von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City. Der erste und zweite Flug wurde planmäßig durchgeführt. Auf der letzten Teilstrecke startete der Flug verspätet. Die Frau erreichte Kansas City mit einer Verspätung von mehr als vier Stunden. Anschließend forderte sie Ausgleichszahlungen in Höhe von 600,00 Euro. Gestützt hat sie sich auf Art. 5 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 lit. c der EU– Fluggastrechteverordnung. Sowohl das Amtsgericht Nürtingen als auch das Landgericht Stuttgart lehnten dies ab und begründeten das mit der Nichtanwendbarkeit der Verordnung.
Buchung der drei Teilflüge als Gesamtheit
Der Bundesgerichtshof zog den Europäischen Gerichtshof zurate und entschied nun nach dessen Vorabentscheidung, die Verordnung für anwendbar. Nach der Rechtsprechung der Europäischen Union sei die Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung bei einem Flug mit direkten Anschlussflüge unter Berücksichtigung des ersten Abflugortes und des Endziels zu beurteilen, wenn der Flug als eine Gesamtheit anzusehen sei. Das Reisebüro habe eine Rechnung zu einem „Vermittlungsauftrag“ erteilt, die für die hier interessierenden Flüge sowie für den Rückflug einen einheitlichen „Teilnehmerpreis“ ausweise. Aus der Rechnung ergebe sich ferner, dass das Reisebüro für die Flüge ein einheitliches Ticket ausgegeben habe, dessen Nummern auch auf den Boardkarten für die drei interessierenden Flüge wiedergegeben sei. Vor diesem Hintergrund hat der BGH abgeleitet, dass die drei Teilflüge als Gesamtheit mit Abflugort in Deutschland zu betrachten seien. Demnach stehe ihr eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 Euro zu.
Wer eine mit Umstiegen verbundene Flugreise in einem EU-Land startet, hat bei Verspätung auch dann Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, wenn diese erst bei einem späteren Teilflug jenseits der EU auftritt. Dabei spielt es keine Rolle, ob direkte Anschlussflüge von unterschiedlichen, nicht durch eine besondere rechtliche Beziehung miteinander verbundenen Airlines durchgeführt werden.
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Zwei mutmaßliche Täter wurden wegen Steuerhinterziehung (in 20 Fällen) und Vorenthalten sowie Veruntreuens von Arbeitsentgelt (in 24 Fällen) angeklagt. Außerhalb des Hauptverfahrens überlegten die Verfahrensbeteiligten, ob man sich verständigen könne. Über den Inhalt des Gesprächs erstellte der Vorsitzende der Strafkammer einen Vermerk. In der Hauptverhandlung schlug das Landgericht am ersten Verhandlungstag eine Verfahrensabsprache vor, wonach gegen ein Geständnis der Angeklagten Strafen im bewährungsfähigen Bereich zu erwarten seien (sog. „Deal“). Nach ordnungsgemäßer Belehrung wurde die Verhandlung vertagt, um den Verfahrensbeteiligten Bedenkzeit zu geben. Wegen Erkrankung des Vorsitzenden Richters musste das Verfahren ausgesetzt werden. Der neue Vorsitzende erklärte in der Hauptverhandlung, es habe keine Verständigung gegeben und – falls es früher Verständigungsgespräche gegeben habe – bestehe für die Beteiligten keine Bindungswirkung. Inhalt der Verständigungsgespräche trug der Vorsitzende nicht vor. Anschließend wurden die Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Einziehung von rund 96.000€ angeordnet. Hiergegeben erhoben die zwei Verurteilten Revision vor dem BGH unter Berufung auf Verletzung der Mitteilungspflicht (Beschluss vom 4.04.2023 – 1 StR 455/22).
Hinweis:
Verständigungsgespräche im Strafverfahren sind Verhandlungen zwischen der Staatsanwaltschaft, dem Gericht und dem Angeklagten (oder seinem Verteidiger) um eine mögliche Einigung in einem Strafverfahren zu erzielen. Sie dienen dem Zweck, das Verfahren zu beschleunigen, Kosten zu reduzieren und eine gerichtliche Entscheidung zu vermeiden. Während solcher Verständigungsgespräche können verschiedene Aspekte des Verfahrens verhandelt werden, wie beispielhaft die Frage nach der Schuld des Angeklagten oder die Höhe der Strafe. In der Regel geht es darum, eine Vereinbarung zu treffen, bei der der Angeklagte im Gegenzug für ein Geständnis oder anderer Zugeständnisse eine mildere Strafe erhält.
Eine Verfahrensbeanstandung der Verletzung der Mitteilungspflicht bezieht sich auf den Vorwurf, dass im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens eine Mitteilungspflicht verletzt wurde. Wenn eine Partei (hier: die Angeklagten) der Ansicht ist, dass eine solche Mitteilungspflicht nicht erfüllt wurde, kann sie eine Verfahrensbeanstandung erheben. Das bedeutet, dass die Partei das Gericht darauf aufmerksam macht, dass sie der Meinung ist, dass ihre Rechte verletzt wurden, weil ihr bestimmte Informationen (z.B. eine Einigung zwischen Angeklagten und Staatsanwaltschaft) nicht rechtzeitig oder gar nicht mitgeteilt wurden.
Das Gericht gab die Revision statt. Indem der (neue) Vorsitzende den Inhalt der Verständigungsgespräche in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt habe, habe er gegen die Mitteilungspflicht verstoßen. Ein Hinweis auf frühere Gespräche genüge nicht, auch wenn das Verfahren ausgesetzt war. Sinn und Zweck der Mitteilungspflicht sei es, die Angeklagten und die Öffentlichkeit von allen verständigungsbezogenen Erörterungen zu informieren. Dieser Sinn und Zweck könne nicht von der Besetzung des Gerichts abhängig gemacht werden.
Die Revision der Einziehungsbeteiligten hat der BGH als unbegründet zurückgewiesen. Die Verfahrensrüge richte sich ausschließlich gegen das Zustandekommen der Schuldsprüche gegenüber den Angeklagten und könne nicht Teil von Verfahrensabsprachen sein.
Hinweis:
Eine Einziehungsentscheidung ist eine gerichtliche Anordnung, bei der Vermögenswerte oder Gegenstände, die im Zusammenhang mit einer Straftat erlangt wurden (z.B. Diebstahl oder Steuerhinterziehung) eingezogen werden. Die Einziehung dient dazu, unrechtmäßig erlangtes Vermögen oder Gegenstände dem Täter zu entziehen und sie für staatliche Zwecke zu nutzen oder zu verwerten. Die Einziehung von Vermögenswerten dient verschiedenen Zwecken, wie beispielsweise der Entschädigung von Opfern, der Abschreckung von Straftaten und der Verhinderung der Wiederholung strafbarer Handlungen.
Die Entscheidung wird an das Gericht zurückverwiesen. Dieses muss sich an den Inhalt des vorangegangenen Verständigungsgesprächs halten. Demzufolge haben die Angeklagten keine Freiheitsstrafe, sondern eine Strafaussetzung auf Bewährung zu erwarten. Die rund 96.000 Euro werden dennoch eingezogen.
Ein Stromversorger klagte gegen einen Kunden auf Erstattung von Stromkosten. Der Beklagte wurde im Zuge eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren antragsgemäß verurteilt. Zugestellt wurde dem Beklagten das Urteil am 7.10.2021 durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten. Am 22.10.2021 (d.h. 15 Tage später) erhob der Beklagte Einspruch gegen das Urteil. Auf Hinweisung der zweiwöchigen Einspruchsfrist (i.d.R. 14 Tage), behauptete der Beklagte, den Brief erst am 8.10.2021 aus dem Briefkasten entnommen zu haben. Auf dem Umschlag sei das Zustellungsdatum nicht vermerkt gewesen, so der Beklage.
BGH widerspricht dem Amts– und Landgericht
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts und des Landgerichts entschied der VIII. Zivilsenat des BGH (Urteil vom 15.03.2023 – VIII ZR 99/22), dass ein Vermerk des Datums der Zustellung auf den Umschlag eine zwingende Verpflichtung des Zustellers sei. Demnach führe der fehlende Vermerk über das Zustellungsdatum auf dem Umschlag zur Unwirksamkeit der Zustellung. Den Kläger treffe die Darlegungs– und Beweislast für eine noch am 7.10.2021 erfolgte tatsächliche Kenntnisnahme des Beklagten. Kann der klagende Stromversorger beweisen, dass auf dem Briefumschlag das Datum vermerkt war, ist der Einspruch des Beklagten verfristet und folglich unzulässig. Kann der Kläger hingegen den Datumsvermerk nicht beweisen, ist der Einspruch nicht verfristet und demzufolge zulässig. Nichtsdestotrotz kann der Einspruch unbegründet sein mit der Folge, dass der Beklagte dennoch zur Zahlung der Stromkosten verurteilt wird.
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