
Mitteilungspflichten beim vorbereitenden strafrechtlichen Deal
Sachverhalt – Nach Verständigungsgesprächen Verfahren ausgesetzt
Zwei mutmaßliche Täter wurden wegen Steuerhinterziehung (in 20 Fällen) und Vorenthalten sowie Veruntreuens von Arbeitsentgelt (in 24 Fällen) angeklagt. Außerhalb des Hauptverfahrens überlegten die Verfahrensbeteiligten, ob man sich verständigen könne. Über den Inhalt des Gesprächs erstellte der Vorsitzende der Strafkammer einen Vermerk. In der Hauptverhandlung schlug das Landgericht am ersten Verhandlungstag eine Verfahrensabsprache vor, wonach gegen ein Geständnis der Angeklagten Strafen im bewährungsfähigen Bereich zu erwarten seien (sog. „Deal“). Nach ordnungsgemäßer Belehrung wurde die Verhandlung vertagt, um den Verfahrensbeteiligten Bedenkzeit zu geben. Wegen Erkrankung des Vorsitzenden Richters musste das Verfahren ausgesetzt werden. Der neue Vorsitzende erklärte in der Hauptverhandlung, es habe keine Verständigung gegeben und – falls es früher Verständigungsgespräche gegeben habe – bestehe für die Beteiligten keine Bindungswirkung. Inhalt der Verständigungsgespräche trug der Vorsitzende nicht vor. Anschließend wurden die Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Einziehung von rund 96.000€ angeordnet. Hiergegeben erhoben die zwei Verurteilten Revision vor dem BGH unter Berufung auf Verletzung der Mitteilungspflicht (Beschluss vom 4.04.2023 – 1 StR 455/22).
Hinweis:
Verständigungsgespräche im Strafverfahren sind Verhandlungen zwischen der Staatsanwaltschaft, dem Gericht und dem Angeklagten (oder seinem Verteidiger) um eine mögliche Einigung in einem Strafverfahren zu erzielen. Sie dienen dem Zweck, das Verfahren zu beschleunigen, Kosten zu reduzieren und eine gerichtliche Entscheidung zu vermeiden. Während solcher Verständigungsgespräche können verschiedene Aspekte des Verfahrens verhandelt werden, wie beispielhaft die Frage nach der Schuld des Angeklagten oder die Höhe der Strafe. In der Regel geht es darum, eine Vereinbarung zu treffen, bei der der Angeklagte im Gegenzug für ein Geständnis oder anderer Zugeständnisse eine mildere Strafe erhält.
Eine Verfahrensbeanstandung der Verletzung der Mitteilungspflicht bezieht sich auf den Vorwurf, dass im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens eine Mitteilungspflicht verletzt wurde. Wenn eine Partei (hier: die Angeklagten) der Ansicht ist, dass eine solche Mitteilungspflicht nicht erfüllt wurde, kann sie eine Verfahrensbeanstandung erheben. Das bedeutet, dass die Partei das Gericht darauf aufmerksam macht, dass sie der Meinung ist, dass ihre Rechte verletzt wurden, weil ihr bestimmte Informationen (z.B. eine Einigung zwischen Angeklagten und Staatsanwaltschaft) nicht rechtzeitig oder gar nicht mitgeteilt wurden.
Verletzung der Mitteilungspflicht
Das Gericht gab die Revision statt. Indem der (neue) Vorsitzende den Inhalt der Verständigungsgespräche in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt habe, habe er gegen die Mitteilungspflicht verstoßen. Ein Hinweis auf frühere Gespräche genüge nicht, auch wenn das Verfahren ausgesetzt war. Sinn und Zweck der Mitteilungspflicht sei es, die Angeklagten und die Öffentlichkeit von allen verständigungsbezogenen Erörterungen zu informieren. Dieser Sinn und Zweck könne nicht von der Besetzung des Gerichts abhängig gemacht werden.
Revision gegen Einziehungsentscheidung unbegründet
Die Revision der Einziehungsbeteiligten hat der BGH als unbegründet zurückgewiesen. Die Verfahrensrüge richte sich ausschließlich gegen das Zustandekommen der Schuldsprüche gegenüber den Angeklagten und könne nicht Teil von Verfahrensabsprachen sein.
Hinweis:
Eine Einziehungsentscheidung ist eine gerichtliche Anordnung, bei der Vermögenswerte oder Gegenstände, die im Zusammenhang mit einer Straftat erlangt wurden (z.B. Diebstahl oder Steuerhinterziehung) eingezogen werden. Die Einziehung dient dazu, unrechtmäßig erlangtes Vermögen oder Gegenstände dem Täter zu entziehen und sie für staatliche Zwecke zu nutzen oder zu verwerten. Die Einziehung von Vermögenswerten dient verschiedenen Zwecken, wie beispielsweise der Entschädigung von Opfern, der Abschreckung von Straftaten und der Verhinderung der Wiederholung strafbarer Handlungen.
Die Entscheidung wird an das Gericht zurückverwiesen. Dieses muss sich an den Inhalt des vorangegangenen Verständigungsgesprächs halten. Demzufolge haben die Angeklagten keine Freiheitsstrafe, sondern eine Strafaussetzung auf Bewährung zu erwarten. Die rund 96.000 Euro werden dennoch eingezogen.